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Einige Anmerkungen über den katalanischen Konflikt

Ich hatte neulich geschrieben, dass ich, um die jetzige Lage in Katalonien zu kommentieren, warten wollte, bis über die Bewegungen der Hauptakteure mehr Klarheit besteht. Das dauert aber länger als man gedacht hätte und es gibt einige Anmerkungen, die schon jetzt unumgänglich sind.

In einer klaren Verkennung des Sachverhalts, die aus oberflächlichen Betrachtungsweisen des Konflikts kommt, wird Carles Puigdemont als „katalanischer ex-Präsident“ bezeichnet. Da muss ich immer an einen Zweizeiler von Wilhelm Busch denken: „In dieser Welt, und das ist wichtig / nichts ist ganz falsch und nichts ganz richtig“. Und so ist es auch mit Puigdemont. Dass er in höchst illegaler Weise und unter einer skandalösen Missachtung der spanischen Verfassung von seinen Posten enthoben wurde, lassen wir erst mal beiseite. Dass er von den katalanischen Bürgern, welche die Unabhängigkeitsparteien wieder zur parlamentarischen Mehrheit verholfen haben, weiterhin als einziger legitimer Präsident Kataloniens betrachtet wird ist auch etwas, dass genauer definiert werden soll. Um es kurz und schnell zu machen: Puigdemont ist de facto ein „Ex-Präsident“ einer katalanischen autonomen Regierung. Soweit „richtig“. Aber auch falsch, weil jetzt Puigdemont (auch wenn für viele illusorisch scheinen könnte) auch „de facto“ der erste Präsident der am 27.10.2017 ausgerufenen katalanischen Republik ist und als solcher von einer großen Masse der katalanischen Bürger anerkannt wird. Und auch als solcher ist er jetzt unermüdlich tätig (diese Tage gerade in Genf) zum großen Kummer und Wut der spanischen Machthaber, und mit immer größerem internationaler Echo. Und es ist der Wunsch einer ausreichenden Zahl von Katalanen, dass wer auch immer in Barcelona einer neuen Regierung vorsitzt, sich dem katalanischen Rat der Republik in Belgien unterstellt. Puigdemont ist also der erste katalanische Präsident in einer neuer historischen Zeitrechnung. Sie ist unumkehrbare Realität, die zwar etwas länger zur Vollendung brauchen wird, aber von der Willkür der spanischen Behörden immer neue Nahrung bekommt.

Noch eine Verkennung der Lage in Katalonien: Vor kurzem hatte ein deutscher Korrespondent geschrieben: „Es war jetzt seit einiger Zeit ruhig um den katalanischen Konflikt…“. Man kann sich doch fragen, wo er diese „Ruhe“ bemerkt hat. Das Gegenteil ist wahr, es ist eine permanente Unruhe, die mal mehr, mal weniger, von Außenstehenden wahrgenommen wird. Die Gründe hat vor kurzem in „Vilaweb“ der großartige katalanische Journalist Pere Cardús dargelegt. Er wetterte gegen Leute (seien es Politiker, Journalisten oder was auch immer), die „Zustände als selbstverständlich betrachten, die ein ausgemachter Irrsinn sind“. Zum Beispiel.

– dass jetzt vier Menschen in spanischen Haftanstalten eingesperrt sind, weil sie friedlich verteidigt haben, dass Bürger über ihre Zukunft entscheiden konnten indem ein Papier in eine Wahlurne einsteckten. Vier Menschen die nie ein Verbrechen begangen haben, die nie ihre Hand gegen irgendjemand erhoben haben (Oriol Junqueras, Joaquim Forn, Jordi Cuixart, Jordi Sànchez).

– dass es sechs Menschen gibt, die ihr Land verlassen mussten um nicht, mit derselben Begründung wie die genannten vier, auch im Gefängnis zu landen (Carles Puigdemont, Toni Comín, Lluís Puig, Meritxell Serret, Clara Ponsatí und Anna Gabriel).

– dass es gerichtliche Verfahren gegen hunderte von Menschen gibt, weil sie ihre Zukunft in freier, friedlicher und demokratischer Weise selbst bestimmen wollten (Eduard Calvo, Marc Bosch, Jordi PesarrodonaLluís MontabesÀlex MasesValentí Junyent, Oriol FerràndezMarc SolsonaDavid Rodríguez, Antoni MolonsJoan Badia, Albert Batet, Francesc Deulofeu, Neus LloverasMaties Serracant, Eloi HernàndezMiquel SalaBernat SoléJordi FàbregaMingo Sabanés, Miquel Buch, Carles PellicerLluís SaisJoan MartíAdam Tomàs, Aleix Auber, Montse Midan, Marta Felip, Carme Ponsa, Laura Campos, u.s.w.)

– dass es Zeichner und Karikaturisten gibt, die von ihren Zeitungen entlassen wurden, weil sie die Idee verteidigt haben, dass jeder Mensch über seine Zukunft friedlich entscheiden können sollte (Miquel Ferreres, Eneko las Heras).

– dass es Intellektuelle gibt, die gerichtlich verfolgt werden, weil sie in den sozialen Netzen den spanischen Autoritarismus kritisiert haben (Germà Bel, Jordi Galves).

– dass es Sänger gibt, die zu Gefängnis verurteilt wurden, weil sie über den spanischen König dasselbe gesagt haben, was man im Ausland über ihn sagt (Pablo Hasél, Valtonyc).

– dass es Sicherheitsagenten des spanischen Staates gibt, welche bereits als Folterer verurteilt wurden, und jetzt für Angriffe gegen friedliche Bürger verantwortlich sind (Manuel Sánchez CorbíDiego Pérez de los Cobos Bruder von Francisco Pérez de los Cobos erwähnt in diesen Artikel).

Manuel Sanchez Corbi

Manuel Sánchez Corbí

Die Liste ist noch länger aber sie reicht schon aus um zu widerlegen, dass es um den katalanischen Konflikt ruhig geworden wäre. Und Cardús schreibt weiter, dass es um grundlegende Angelegenheiten geht: um die Freiheiten der Meinung, der Versammlung, der Presse, u.s.w. Es geht um einen Faschismusstaat, dessen Ziel die Erwürgung eines Volkes ist, und seiner Fähigkeit sich auszudrücken und sich zu regieren. Und deswegen versteht der Journalist nicht jene kurzsichtigen Politiker, die sich nicht zu einer einheitlichen Front aufraffen können um sich gegen diese Ungeheuerlichkeiten effektiv wehren zu können.

Gewiss, auch von katalanischen Seite werden Irrtümer begangen. „Nobody is perfect“. Auch in Katalonien bei weitem nicht. Aber trotzdem bin ich zuversichtlich und glaube begründete Hoffnungen haben zu dürfen, dass es sich bald zeigen wird, dass alle Tricks, alle Lügen, aller Machtmissbrauch und alle Gesetzesverstöße der spanischen Nationalisten nicht reichen werden um den Weg der Katalanen in die Unabhängigkeit aufhalten zu können.

Rache, Willkür und andere „Normalitäten“

Ich hoffe auf das Verständnis meiner Leser, wenn ich nochmals über die spanische Justiz schreibe, über eine angeblich so demokratische und so unabhängige Institution, die schnell dabei ist ihren Ruf gründlich und dauerhaft zu beschädigen.

Die Freilassung eines Teils der inhaftierten katalanischen Politiker (gegen eine saftige Kaution von 100.000 €) kann für gutgläubige Ausländer ein möglicher Beweis sein, dass ich wahrscheinlich übertreibe, und dass alles nicht so schlimm sei. Irrtum. Die Freilassung setzt nur außer Kraft die präventive Inhaftierung, aber die Verfahren werden weiter verfolgt und die Möglichkeit von Langzeit Gefängnisstrafen (sowohl für die noch Inhaftierten wie für die jetzt Freigelassenen) bleibt bestehen. Mit dieser halben Maßnahme aber – Ausdruck der spanische Rache gegen die Hauptverantwortlichen für den Erfolg des Referendums – werden die spanischen Behörden nicht die peinliche Lage vermeiden können, vor den Wahlen am 21. Dezember Wahlkandidaten im Gefängnis zu halten wie eine gewöhnliche Bananenrepublik.

Fassen wie schnell nur vier von den „Freiheiten“ zusammen, die sich in wenigen Wochen die willkürliche spanische Justizmaschinerie erlaubt hat.

1. Die zwei katalanischen Aktivisten Jordi Sánchez und Jordi Cuixart (schon international als „die zwei Jordis“ berühmt geworden und jetzt weiter in Haft) wurden wegen eine Anklage von Aufwiegelung zum Aufruhr inhaftiert die unhaltbar ist wie ein Video ganz im Gegenteil beweist. In diesem sieht man wie die zwei Jordis versuchen, die empörten Bürger zur Mäßigung zu bewegen und die Agenten der paramilitärischen spanischen Polizei, die in das katalanische Wirtschaftsministerium eingedrungen waren, den Auszug zu gestatten.

2. Die Mitglieder der katalanischen Regierung wurden der Rebellion angeklagt, nach einem Artikel des Strafgesetzbuches, der seinerzeit wegen der Erinnerung an den Putsch der Armee 1936 und den gescheiterten Putsch vom Februar 1981 verfasst wurde. Wie ich schon mal schrieb, macht die Anklage nur Sinn, wenn man Wahlzettel als gefährliche Waffen ansieht.

3. Die zusätzliche Anklage gegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern (die für den Referendum verwendet wurden) ist nicht nur absurd, weil Volksbefragung und Veruntreuung zwei Begriffe sind, die in diesem Kontext sich gegenseitig ausschließen, sondern auch wenn man bedenkt, dass seit 2015, der spanische Finanzminister Cristóbal Montoro die katalanischen Finanzen kontrolliert. Zusatz: Cristóbal Montoro erklärte noch am 31.08.2017: „Bis zum heutigen Tag erhielt die Generalitat [die katalanische Regierung] nicht einen Euro aus dem Landeshaushalt zur Finanzierung des Referendums am 01. Okotober 2017.“

4. Die katalanischen Minister werden auch wegen Aufwiegelung zur Aufruhr angeklagt. Dafür müsste man aber beweisen, dass sie konkrete Anweisungen gaben, um das normale Funktionieren des spanischen Staates zu verhindern. Und das ist nie geschehen.

Und wie kann man sich wundern, wenn die Justiz so „freihändig“ arbeitet, dass auch die Regierung die eigenen Gesetze nach Lust und Laune „interpretiert“, und dass sie den berühmtberüchtigten Artikel 155 der Verfassung als Freibrief nimmt, der ihr absolut aller erlaubt, obwohl das keineswegs so ist?

Ministerpräsident Rajoy meint, dass mit dem 155 die Normalität nach Katalonien zurückgekommen ist. Auch wenn man von der Seite vieles gewohnt ist, wundert man sich wieder über so viel Verlogenheit. Die katalanische Verwaltung ist fast paralysiert, weil für jede kleine Entscheidung, auch des kleinsten Abteilungsleiter, die Erlaubnis aus Madrid geholt werden muss, was sogar oft Reisen nach Madrid zu Lasten des Steuerzahlers bedeutet.

Das Kollektiv „Öffentliche Diener Kataloniens“ hat eine Studie veröffentlicht welche die vielen Schäden aufzählt (und weiter aufzählen wird), die die spanische Intervention in der katalanische Verwaltung verursacht. Unter anderem sind zweiundneunzig öffentliche Verträge lahmgelegt; hunderte Sozialvereine, die schon genehmigte Subventionen nicht empfangen können, und jetzt fehlen für Miethilfen, für Hilfe an Behinderten und verarmte Familien; über 70 parlamentarische Gesetzesvorlagen, die nicht weiter bearbeitet werden können (mehr Information hier auf Englisch). Dazu kommt die Schließung der Außenbüros der katalanischen Regierung (bis auf das in Brüssel), die mit viel Erfolg die Interessen der katalanischen Wirtschaft im Ausland vertreten hatten. Auch hat man der Hafenverwaltung Barcelonas verboten, Handelsmissionen im Ausland zu etablieren. Dazu kommt (und das ist für die Katalanen keineswegs eine unbedeutende Kleinigkeit), dass alle Verwaltungsdokumente für die Interventionskommissare nicht mehr auf katalanisch geschrieben werden dürfen, sondern direkt auf spanisch oder übersetzt dazu, was noch mal neue Kosten verursacht. Das ist also die „Normalität“, die der spanischer Ministerpräsident feiert.

Die Demokratie erleidet in Spanien einen Rückschlag nach dem anderen. Und die EU-Institutionen verhalten sich wie die berühmten drei chinesische Affen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, auch wenn die scheinbar unvermeidlichen „politischen Notwendigkeiten“ einen Verrat an den Prinzipien und Werten der Union bedeuten.

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P.S.: Hier das letzte Schreiben von Dr. Prof. Axel Schönberger zum empfehlen: https://www.change.org/p/sergio-mattarella-presidente-della-repubblica-italiana-presidente-della-repubblica-italiana-solidarit%C3%A4t-mit-katalonien-f%C3%BCr-das-recht-auf-friedliche-selbstbestimmung/u/22095352

Mehr Öl ins Feuer gießen

In ihren unermesslichen und blinden Arroganz hat die spanische Regierung den Katalanen noch ein Grund mehr gegeben um schleunigst Spanien verlassen zu wollen. Man hat mit unhaltbaren, angeblichen Gründen, wie man es von Erdogan oder Putin gewöhnt ist, zwei Männer ins Gefängnis gesteckt, die so nach einer langen Zeit die ersten politischen Gefangenen sind in einem Staat der angeblich so demokratisch sein soll. Gerhard Schröder muss noch heute Spott ertragen für seine damaligen Worte, dass Putin „ein lupenreinen Demokrat“ wäre. Allmählich wird manchen Leuten endlich dämmern müssen, dass Spanien keineswegs eine „lupenreine Demokratie“ ist. Was ist geschehen?

Am 20. September wurde in Barcelona bekannt, dass Agenten der paramilitärischen Guardia Civil in das Gebäude des Wirtschaftsministeriums eingedrungen waren. Sofort konzentrierten sich viele Bürger vor dem Ministerium um gegen diese polizeiliche Blitzaktion zu protestieren. Unter anderem hatten die jetzt inhaftierten, die Vorsitzenden der Bürgervereine ANC und Òmnium, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart (auspr: Kuschart), dazu aufgerufen friedlich dagegen zu demonstrieren. Bei den von ANC und Òmnium organisierten Massendemonstrationen am 11. September in den letzten Jahren, erging immer die Losung an die Teilnehmer sich stets friedlich zu verhalten und auf Provokationen nicht zu reagieren. So auch am 20. September.

Vor dem Ministerium kam es aber zu Zwischenfällen, bei denen drei Dienstwagen der Guardia Civil beschädigt wurden. Es ist bis jetzt nicht klar ob das von ungeduldigen jungen Demonstranten oder von Provokateuren getan wurde. Auf jedem Fall keineswegs auf irgendeine Anweisung von Sànchez oder Cuixart. Außerdem hat nachher die katalanische Polizei erklärt, dass sie von der Guardia Civil über diese Aktion nicht vorher benachrichtigt wurde und dass wenn es geschehen wäre sie schon dafür gesorgt hätte, dass alles ohne Störungen abgelaufen wäre. Man soll auch merken, dass das Ministerium später erklärt hat, das die Dokumente, welche von den Gardisten mitgenommen waren, hätten sie problemlos mit einem einfachen Telefonanruf erhalten können.

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Jordi Cuixart und Jordi Sànchez

Jetzt aber hat eine spanische Richterin (Carmen Lamela, hochdekoriert mit Verdienstorden der spanische Polizei am September 2017 und der Guardia Civil am Oktober 2016) Sànchez und Cuixart ins Gefängnis geschickt wegen „Anstiftung zu öffentlichem Aufruhr“. Damit hat die alles andere als unabhängige spanische Justiz noch Öl ins Feuer des Konflikts gegossen. Das Dialogangebot des katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont, das ihm viel Unverständnis und Kritik der Bürger eingebracht hat, ist so krachend zurückgewiesen worden.

Die Empörung in Katalonien ist unbeschreiblich. Es sind jetzt viele Bürgeraktionen zu erwarten, die bis zu einem Generalstreik eskalieren könnten, um die Freiheit der zwei politischen Gefangenen zu erreichen. Die nächsten Tagen und Wochen warren sowieso als schwierig betrachtet worden. Das hat sich jetzt noch gesteigert. Man kann sich dem Eindruck  nicht entziehen, dass Spanien vielleicht alles tut um Gewaltexzesse zu provozieren, die dann die Intervention der Armee rechtfertigen könnte. Das wird aber nicht gelingen. Weil die Katalanen sehr wohl wissen, das Gewalt das beste Argument für ihre Gegner wäre. Bis jetzt sind alle gewalttätigen Aktionen in Katalonien  von spanischen Polizeikräften und von spanischen ultrarechten Schlägertrupps ausgegangen. Und so wird es bleiben, sehr zum Leidwesen der spanischen Brandstifter, die ihre Lügen über die soziale Lage in Katalonien immer weniger rechtfertigen können.

Übrigens, die spanische Staatsanwaltschaft wollte auch den Chef der katalanischen Polizei, Major Josep Lluís Trapero (der nach der raschen Aufklärung des islamistischen Attentats in Barcelona international hoch anerkannt wurde), hinter Gitter bringen. Das war auch zu viel für die Richterin, die Trapero „nur“ seinen Pass entzog und ihm die Verpflichtung auferlegte sich jede zwei Wochen bei der spanischen Polizei zu melden. Wie gnädig… Trapero wurde nach seiner Rückkehr nach Barcelona von seiner Truppe mit Ovationen empfangen.

In ganz Katalonien, in Valencia und in Mallorca haben gestern schon viele Bürger für die Freiheit der inhaftierten demonstriert. Gestern Abend versammelten sich dafür in der längsten Straße Barcelonas, die Via Diagonal ca. 200.000 Bürger (nach Schätzung der städtischen Polizei) mit brennenden Kerzen. Und das ist nur den Anfang.

Gegen die Willkür. Für die Demokratie.

In mehreren Artikeln (zuletzt „Justizgerichte als Panzerersatz“) habe ich den Lesern erzählt, wie weit geht der Missbrauch der Justizgerichte durch die spanische Politik. Als Reaktion darauf haben, außer anderen kleinen Kundgebungen an anderen Orten des Landes, am 13. November 2016, auf dem Messegelände in Barcelona (nach der immer vorsichtigen Schätzung der Stadtpolizei) 80.000 Bürger ihre Unterstützung für die demokratisch gewählten katalanischen Mandatsträger gezeigt, die von jener Justiz verfolgt werden. Es sind beileibe nicht nur die von mir in den anderen Artikeln erwähnten Politiker. Zur Zeit laufen mehr als 400 Verfahren und Eingaben gegen Mandatsträger,  vornehmlich Bürgermeister und Gemeinderäte aus ganz Katalonien. Man erhebt gegen sie Anschuldigungen wie: Verstoß gegen das Gesetz über Symbolen und Flaggen des Königreichs Spanien, Amtspflichtverletzung und Ungehorsam, Aufruf zur Rebellion und Aufruhr (nichts liegt ferner als das für die friedlichen Unabhängigkeitsbefürworter), ungebührlicher Gebrauch von öffentlichen Geldern und widerrechtliche Anmaßung von Kompetenzen.

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Weswegen? Diese Anklagen basieren auf „Vergehen“ die Gegner der Unabhängigkeitsbewegung zur Anzeige gebracht haben, nämlich: Nicht-hissen der spanischen Nationalflagge, das Bildnis des spanischen Königs entfernt zu haben, die Steuerhoheit Kataloniens gefördert zu haben, über den Abspaltungsbescheid 1/XI des katalanischen Parlaments erörtert und abgestimmt zu haben, den jährlichen Beitrag dem „Verband der Gemeinden für die Unabhängigkeit“ (AMI) bezahlt zu haben, sich zu einem „freien und souveränen katalanischen Territorium“ zu erklären, lokale der AMI zu überlassen, und Eisenbahnzüge für den Transfer der Bürger nach Barcelona für die Demonstration am katalanischen Nationalfeiertag (11. September) gemietet zu haben. Dazu kommen die in den anderen Artikeln schon erwähnten Verfahren gegen vier Spitzenpolitiker, weil sie die unverbindliche Volksbefragung am 9.11.2014 erlaubt haben, und gegen die katalanische Parlamentsvorsitzende, weil sie nicht verhinderte, dass das Parlament einen Bericht einer Kommission des Hauses „zur Studie des konstituierenden Prozesses“ im Plenum erörtert hat.

Die dreigrößten Bürgerorganisationen Kataloniens, die katalanische national Versammlung (ANC), der Verband der Gemeinden für die Unabhängigkeit (AMI) und der Verein Òmnium Cultural (sieh Artikel vom 14.08.16 „Der soziale Hintergrund der Unabhängigkeitsbewegung“) haben zu dieser Kundgebung aufgerufen. Unter den Demonstranten waren Vertreter von fast allen katalanischen Parteien (auch welche, die nicht den Unabhängigkeitsbefürworter zugerechnet werden, aber doch für ein Referendum über das Problem eintreten), Gewerkschaften und zahlreichen Bürgerbewegungen. Sie alle haben den demokratisch gewählten Mandatsträger ihre Unterstützung Ausdruck verliehen und sich gegen die Angriffe auf so essentiellen Grundrechte wie de Meinungsfreiheit, Mitbestimmungsrecht und das Recht über die eigene politische Zukunft als Volk frei zu entscheiden gestellt.

Die Vorsitzende des AMI, Neus Lloveras, rief: „Wir werden nicht erlauben, dass unsere gewählten Mandatsträger und unsere Institutionen angegriffen werden. Wenn einer der Unseren angegriffen wird, greifen sie uns alle an“.

Der Vorsitzender von Omnium Cultural, Jordi Cuixart, hat zu anhaltenden Mobilisierungen aufgerufen. „Es reicht nicht einmal im Jahr zu demonstrieren, sondern man muss auf die Straße gehen immer wann es notwendig ist“. Er mahnte, dass: „Dies ist keine Frage von Flaggen, Parteien oder Egoismus, sondern es geht um Demokratie und die Verteidigung derer, denen wir an den Wahlurnen das Mandat gegeben haben uns zu vertreten“.

Und der Vorsitzender der ANC, Jordi Sánchez, ließ keinen Zweifel daran, dass „wir immer wieder auf die Straße gehen werden, egal wann, wo und wie oft es notwendig sei. Wir werden es tun!“

Es wäre ein Fehler diese Worten für eine leere Sonntagsrede zu halten. Ohne die Unterstützung des Volkes wären sie nur ein sinnloses Palaver. Aber es ist gerade das Volk, das diesen Reden Kraft verleiht, wie die friedlichen Massendemonstrationen (die größten in Europa in den letzten Jahren) zeigen. Und unterdessen sind die europäischen Politiker, die nicht immer verstehen was in Katalonien geschieht, zunehmend irritiert über die unverständliche und unbewegliche Haltung der spanischen Regierung in dem Konflikt mit Katalonien. Und diese Haltung in der neuen Legislaturperiode unter Ministerpräsident Rajoy wird sich kein Jota ändern.