Ein sturer Furunkel
Dass Katalonien wie ein sturer lästiger Furunkel in einer Ecke Europas ist, habe ich mehrmals hier geschrieben. Die großen Krisen, welche die Welt zur Zeit durchlebt, lassen das aber allzu oft vergessen und das Geschehen in Katalonien, wenn überhaupt, als kleine Randnotiz, zur Kenntnis zu nehmen. Wie jetzt auch die letzte Demo in Barcelona, bei dem spanischen-französischen Gipfel, die ein neues Merkmal hatte, das besonders vermerkt zu werden verdient.
Der spanischer Regierungschef Sànchez hätte ohne weiteres den Gipfel in Madrid, in Sevilla, an der Costa del Sol oder woanders halten können und nichts hätte den gewollten Prunk gestört. Aber Sánchez wollte zeigen, dass er das lästige Katalonienproblem in dem Griff hatte und die Unabhängigkeitsbewegung schon eine Sache der Vergangenheit war. Aber 30.000 Katalanen haben ihm die Rechnung vermasselt und ihn gezwungen, seinen Gast durch die Hintertür zu empfangen auf den hinteren Parkplatz des Museumsgebäudes wo das Treffen stattfand, was nicht verhinderte, dass das Pfeifkonzert der Demonstranten zu hören war.
Wie der Starjournalist Vicent Partal in seinem Portal Vilaweb geschrieben hat: der Unabhängigkeitsbewegung ist es gelungen in den letzten fünf Monaten, vier große Demos zu organisieren, in einem Umfeld das alles andere als günstig war. Und das „ist etwas, dass keine andere politische Bewegung zustande kommen kann. Keine!“. Wie diese letzte Demo am 19. Januar. Dass an einem Arbeitstag zu sehr früher Stunde und bei kalten Temperaturen 30.000 Bürger dem Ruf von ca. 30 Vereinen der Zivilgesellschaft folgen würden, hatten die Organisatoren nicht mal zu hoffen gewagt.
Ich habe von einem neuen Merkmal gesprochen. Ganz neu ist es zwar nicht, aber es war noch nie in dieser Deutlichkeit zu vernehmen. Es wurden viele Transparente hochgehalten wo man lesen konnte: „Weder Spanien noch Frankreich! Katalanische Länder!“. Der Ausdruck „Katalanische Länder“, wurde gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem valencianischen Schriftsteller und Philosoph Joan Fuster geschaffen, um alle Gebiete zu bezeichnen, wo eine oder andere Art des Katalanischen gesprochen wird. Das schließt nicht nur Katalonien, Valencia und die Balearen ein, sondern auch einen Streifen Aragoniens entlang der Grenze mit Katalonien, und das französische Departement Roussillon, welche der spanische König an Frankreich im 17. Jh.. abtrat, ohne damals gültige Gesetze zu beachten oder zu respektieren.
Ich habe hier mehrmals dargelegt, dass ohne die hirnverbrannte spanische Politik in Hinsicht auf Katalonien, die jetzige Unabhängigkeitsbewegung weiter eine Randgruppe geblieben wäre. Jetzt macht Frankreich dasselbe Fehler und versucht eine schon angefangene Renaissance des katalanischen in Roussillon (das bei uns als Nordkatalonien bezeichnet wird) mit Verboten zu erschweren. Als Ergebnis fangen die Nordkatalanen zum ersten mal an, sich nicht als französische Katalanen zu betrachten sondern einfach als Katalanen überhaupt, und sich als Angehörige einer Nation zu fühlen, die in den Grenzen der „Katalanischen Ländern“ lebt.
Stellen wir es klar. Heute ist die Möglichkeit der Entstehung eines neuen europäischen Staates „Katalanischen Länder“ noch sehr weit von einer möglichen Verwirklichung.. Aber wenn die katalanische Politik der spanischen und der französischen Regierungen sich nicht ändert, hat die Vorstellung davon genügend Kraft, um eine Unruhe sowohl politisch wie auf der Straße zu nähren, die für beide Staaten keineswegs gesund wäre.
Und zwei Sachen sollten dabei von Europa und ihren maßgebenden Institutionen in diesem Fall nicht vergessen werden. Die erste: dass eine Politik, welche die Wirklichkeit ignoriert, früher oder später zum scheitern verurteilt ist. Und die zweite: dass die Utopien von heute die Wirklichkeit von morgen werden könnten.