Corona, Katalonien, Spanien. Einige Erläuterungen

Wie es oft geschieht, jetzt so wie früher, es ist schwer (manchmal unmöglich) für einen normalen Bürger Deutschlands oder Österreichs zu begreifen oder einzuordnen, warum in Spanien manche Geschehnisse so anders verlaufen als in ihren Ländern. So auch jetzt. Warum hat die spanische Regierung so spät und so falsch auf die Coronakrise reagiert? Warum hat sie nicht Hand in Hand mit den autonomen Regionalregierungen gearbeitet anstatt „Alles hört auf mein Kommando!“ zu schreien und dann haufenweise halbherzige oder unsinnige Schritte zu unternehmen? Wie so oft bestätigt sich wieder der Slogan aus der Franco Zeit: “ Spain is different“ . Und nicht in positiven Sinne sondern ganz in Gegenteil.

Ich möchte hier nicht auf die vielen Stimmen (von Wissenschaftlern und von Regionalpolitikern) hinweisen, die ungehört geblieben sind. Über die Unsinnigkeit von manchen jetzigen Maßnahmen für die Deeskalierung berichtet, zum Beispiel, dieser lehrreichen Artikel von Ralf Streck:  https://www.heise.de/tp/features/Spanien-Streit-ueber-Corona-Krisenbewaeltigung-4713211.html )

Was aber eine große Rolle in der spanischen Politik spielt, vielleicht die entscheidende, ist die Angst, dass die  Pandemie ein Doppeleffekt haben könnte. den Zusammenbruch des mangelhaften demokratischen Systems, das 1978 nach der Franco-Diktatur installiert wurde, und eine noch größere Stärkung der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien, die auch auf andere Regionen übergehen könnte.

Das „System von 1978“, wie es viele Beobachter nennen, basiert auf einer mehr oder weniger offenen Zusammenarbeit zwischen Monarchie, dem spanischen Nationalismus und die sogenannten „faktischen Mächte“, d.h. die etwa 400 mächtigen Familien, die in Spanien am Ende immer das sagen gehabt haben. Das beschreibt der Journalist Jordi Barbeta – anlässlich des Korruptionsskandals  um ex-König Juan Carlos I – in „El Nacional.cat“ am 3.05. : „Das politische Veto, um die Korruption der bourbonischen Monarchie zu untersuchen, ist en beweis des Dekadenzmomentes, dass wir jetzt erleben… Im spanischen Staat  gibt es die Angst, dass wenn man in der Korruption des vorherigen Staatschefs stochert, der ganze Eiter des Systems zu Tage kommen würde…  Für den spanischen „deep state“ ist die Pandemie ein globales Problem, dass eine globaler Lösung bedarf und die Regierung hat also nur die Rolle abzuwarten, bis irgendwo ein Impfstoff gefunden wird. Die Bedrohungen des politischen Regimes ist aber ein rein spanisches Problem und hat deswegen höchste Priorität. Der mentale Rahmen ist derselbe wie immer:  die Monarchie, die Einheit Spaniens und das Geschäft der ausbeutenden Elite sind untrennbare Subjekte, weil wenn einer davon fällt fallen alle…“  (  https://www.elnacional.cat/ca/opinio/jordi-barbeta-alerta-estat-tornara-fer_49910710,,, ) Und  -so unbegreiflich für ausländische Beobachter es sein kann – bedingt diese unterschwellige Zwangslage die Entscheidungen -und die Fehler und Irrtümer- der Madrider Politik. “ Ein ganzer Rekord an politischer Unfähigkeit“ wie Vicent Partal es nennt…

Und etwas, dass auch erläutert werden sollte -noch einmal-, ist der gebrauch des missverständlichen  Wortes „Nationalismus“, der (besonders in Deutschland) ein sehr negatives Echo hervorbringt. Die spanischen Machthabern sagen jetzt oft, dass der katalanische Nationalismus die spanische Lage unnötig erschwert. Gleichzeitig wird verleugnet, dass es einen spanischen Nationalismus gibt -der wahre Grund für Spaniens Irrwege- , eine Verleugnung, dass die Ereignisse immer wieder als falsch entlarvt haben. Ohne den spanischen Ultranationalismus  wären die Skandalprozesse gegen katalanische Politiker undenkbar gewesen. Was aber der katalanische Nationalismus betrifft, wird es, meines Erachtens, sehr gut von Vicent Partal beschrieben: „Der Ort wo man geboren ist und die Flagge die dort flattert, beschreiben nicht unbedingt, wer man ist… Wenn das persönliche Streben sich selbst zu entdecken zu einem Kampf für eine kollektive Identität führt… dann sagen wir, dass wir Nationalisten sind. Weil der Nationalismus ist was wir dann praktizieren, nennen wir es so oder wie auch immer. Und das besteht  aus der Tatsache, dass wir eine Vereinigung von freien Bürgern sind, die wir selbst als Nation betrachten, und möchten, dass diese Nation, und infolgedessen ihre Rechte, von anderen anerkannt werden. So einfach ist das…“   ( https://www.vilaweb.cat/noticies/lariet-de-lenemic-com-a-argument-de-la-censura-ii/  )

Und die Bitte um Anerkennung der eigenen Rechte bringt mit sich, die der anderen, eine offene Grundeinstellung und die Bereitschaft zu einem verträglichen Gleichgewicht mit allen Bürgern zu kommen. Das hat natürlich nichts gemein mit dem Nationalismus faschistischer oder totalitärer Prägung. Und deswegen sagt auch Partal, dass in den Debatten über Nationalismus das wichtigste das Adjektiv ist (aggressiv oder defensiv, ausschließender oder integrierender) und nicht der Name.

Und das ist wichtig zu wissen, weil, wann das Nachlassen der Pandemie es wieder erlaubt, wird in Katalonien wieder der ruf nach Unabhängigkeit kräftiger als früher zu horen sein. Bis dann aber kann das politische Panorama sowohl in Spanien als auch in Katalonien große Änderungen erfahren haben.

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