Anziehenden Herbststürme

Es gibt zur Zeit in der „großen“ Politik immer neue Konfliktverschärfungen, die die Welt in Atem halten, und andere -scheinbar kleinere- Probleme aus dem unmittelbaren Fokus der Aufmerksamkeit entfernen. Bei dem Konflikt Spanien-Katalonien kommt es dazu, dass die Pandemie die Massendemonstrationen unmöglich gemacht hat, und so ist es auf den Bildschirmen der Welt nicht mehr präsent. Der ist aber immer noch da, so virulent -und für viele so unbequem_ wie immer, Die Welt wird es sehen können in dem Moment, dass -mit der Abflauen der Pandemie- die Proteste wieder auf die Straße zurückkommen. Ein erster Schritt ist vor kurzem in der nordkatalanischen kleinen Stadt Figueres getan worden, wo Tausende demonstrierten gegen die Verfolgung von jungen Katalanen, die kein anderes Verbrechen getan haben als friedlich gegen die Willkür der spanischen hohen Gerichte zu protestieren, und dafür jetzt jahrelange Haftstrafen riskieren, als ob sie in Belarus oder in der Türkei wären. Und das war nur des bescheidene Wiederstart.

Dieser Artikel ist auch eine Art Wiederstart meiner Berichte, nach mehreren Wochen Schweigen. Ich wartete, dass die komplizierte politische Lage sich nach den Wahlen vom 14. Februar lichten würde, wie es jetzt einigermassen geschehen ist. Ich wollte, wie immer, über Fakten schreiben können und nicht über  Mutmassungen. Und das werde ich hier tun so kurz und zusammengefasst wie möglich.

1.Wie es das Wahlergebnis und die Vernunft rieten, haben die zwei großen Unabhängigkeitsparteien sich auf eine Koalition verständigt. Die Vereinbarung ist in einigen Punkten vage genug gehalten, um das Regieren an den Lauf der Ereignisse leichter anpassen zu können. Auch wenn beide Parteien über den Weg zur Unabhängigkeit seit langem zerstritten waren, haben sie zu einem Kompromiss gefunden, der aber unmißverständlich klar läßt, dass die Unabhängigkeit Kataloniens weiter ihr gemeinsames Ziel ist. Die Republikanische Linke (ERC) hat erreicht, dass die andere partei „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) eine Spanne von zwei Jahren für Gespräche mit Madrid akzeptierte. JxCat hat aber auch erreicht, dass ständig die Fortschritte dieser Gespräche bewertet werden und dass, wenn der Punkt kommt sie als aussichtslos zu betrachten, die Verhandlungen -auch bevor die zwei Jahre vorbei sind- abzubrechen, und endgültig einen direkten Weg zur Unabhängigkeit einzuschlagen.

2.Die Hoffnungen der Madrider Machthaber, die alles Möglich getan haben, um die Katalanen auseinander zu dividieren, um den Sozialisten Illa zum Ministerpräsidenten ernennen zu können, sind klar enttäuscht worden, und manche nervöse Reaktion in der spanischen Hauptstadt zeigt deutlich, dass man in Madrid alles andere als glücklich darüber ist.

3.Es kann und wird weiter nicht möglich sein, den Konflikt zu entspannen so lange die spanische Repression weiter wütet, solange gegen mehr als 3.000 (meist junge) Katalanen gerichtliche Verfahren laufen und mit langen Haftstrafen und astronomische Geldstrafen bedroht werden, entweder weil sie ihre Pflicht als Abgeordnete oder Beamte getan haben, oder für Aktivitäten, die in demokratischen Staaten als Ausübung der Grundrechte auf Meinungsäusserung und auf Versammlung gelten, und in extremen Fällen nur eine geringe Geldstrafe nach sich bringen. Aber Spain is different…

4.Eine mögliche Begnadigung der politischen Gefangenen, die jetzt wieder als Gerücht im Lauf ist, würde keine Entspannung der Lage bringen, wenn nicht alle andere willkürliche Verfahren und Strafen der letzten Jahre nicht für null und nichtig erklärt werden. Ausserdem weigern sich die meisten dieser gefangenen Spitzenpolitiker eine Begnadigung zu akzeptieren, denn das würde heissen anzuerkennen, dass sie zurecht verurteilt wurden. Nur eine Amnestie (die nicht nur sie einschliesst), würde wirklich zu einer Deeskalation des Konfliktes führen. Aber diese Amnestie wird con den spanischen Ultranationalisten (welche die Mehrheit in allen gesamtspanischen Parteien haben) vehement zurückgewiesen.

5.Die exilierten Politiker, vereint in einem „Rat für die Republik“, dessen Vorsitzender zur Zeit Carles Puigdemont ist,, werden (mit einigen organisatorischen Änderungen) weiter ihre bedeutende strategische Rolle haben in dem Streben der katalanen nach Unabhängigkeit.

Sehr kurz zusammengefasst, das ist das wesentliche der aktuellen lLage. Die nächsten Monate werden in Katalonien eine sehr bewegte Zeit sein, die im Herbst regelrechte Stürme bringen kann. Und das darf Europa nicht aus den Augen verlieren, denn diese Stürme werden nicht irgendwo  draussen in der weiten Welt toben, sondern in der Mitte der Europäische Union.

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