Hinter dem Pandemievorhang
Die Wucht der zweite Welle der Pandemie in ganz Europa, die jetzt das dringendste Problem aller Länder ist, kann auch die Folge haben, dass für Europa die akuten Probleme der Katalanen mehr denn je als eine sehr kleine Störung am Rande gesehen werden könnten. Und weil das so ist, benutzt Spanien auch diese Gelegenheit, um die Repression gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung hinter dem Pandemievorhang noch härter zu betreiben. Mit Argumenten und Vorwänden, die von der paramilitärischen Guardia Civil konstruiert sind und sich zwischen lächerlich und haarsträubend bewegen. Opfer der Razzien der Zivilgardisten sind fünf Akademiker und vier Unternehmer. Die fünf Akademiker waren von dem damaligen katalanischen Parlament als Mitglieder der Wahlkommission berufen, welche das Referendum vom Oktober 2017 überwachen sollten. Sie waren dafür besonders qualifiziert, weil sie alle diese Thematik beruflich recherchiert hatten. Dazu kommt, dass ihre Arbeit bei dieser Kommission von mehreren internationalen Verträgen geschützt war: die Europäische Charta der Grundrechte, der Europäischer Pakt für Menschenrechte, der Internationale Pakt für Zivile- Soziale- und Kulturelle Rechte, und sogar von der spanischen Verfassung. Aber das ist kein Hindernis für Spanien in seinem Wahn die Befürworter der Unabhängigkeit zu terrorisieren und einzuschüchtern. Den festgenommenen Unternehmern wird vorgeworfen, Aktivitäten der Unabhängigkeitsbewegung finanziert zu haben, und auch Teil eines Komplotts zu sein, um nach dem Referendum und der Ausrufung der Unabhängigkeit finanzielle und militärische Hilfe (10.000 Soldaten!) von Russland zu bekommen. Diese hirnverbrannte Räuberpistole ist von Russland nur mit ironischen Kommentaren gewürdigt worden und mit dem Satz, dass so was nicht sehr günstig für die spanische-russische Beziehung wäre. Das alles lief bei der Guardia Civil unter dem Codenamen „Operation Wolkow“. Warum denn „Wolkow“? Während des zweiten Weltkriegs fand bei Wolkow eine kleine Schlacht statt, in welcher es dem Franco-Freiwilligen-Korps „Blaue Division“, das an der Seite der Nazis kämpfte, das einzige Mal gelang, die Russen zurückzuwerfen. Um diesen Namen für eine polizeiliche Razzia zu benutzen, muss man schon wirklich den Denkapparat ausschalten und dazu fanatischer Nationalist und Franco Nostalgiker sein… Gestern, 30.10. wurden zwar alle Festgenommenen wieder frei gelassen, aber erstens, der propagandistische Medienrummel war schon erreicht, und, zweitens, die Guardia Civil hat alle Computer, Mobiltelefone, etc. von ihnen einbehalten, um den Inhalt auszuwerten in der Hoffnung etwas Belastendes zu finden. Mehr Einzelheiten darüber kann man in diesen Artikeln lesen: https://www.heise.de/tp/features/man-greift-sich-einige-heraus-um-alle-abzuschrecken-4940827.html https://www.heise.de/tp/features/Die-Russen-kommen-auch-nach-Katalonien-4942816.html Der katalanische Journalist und Gelehrte Antoni Strubell hat in einem sehr beachteten Artikel die These aufgestellt, dass Spanien kein wirklich demokratischer Staat sein kann, ohne seine antiseparatistische Phobie zu überwinden. Und dass ohne diese Prämisse, Spanien weiter die Heimat der Rechte Verweigerung und der Lynchjustiz gegen die Minderheiten sein wird, die es immer gewesen ist. Eine vollständige englische Übersetzung des Artikels können Sie hier lesen. https://estudiscatalans.blogspot.com/2020/10/article-by-toni-strubell-spanis.html Auch während der Pandemie können die europäischen Staaten nicht andere Probleme und Aufgaben ausschalten. Und das sollte auch nicht mit dem Konflikt Spanien-Katalonien geschehen. Der verschwindet nicht durch Nichtbeachtung, und ist außerdem eine echte Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Standfestigkeit der EÚ bei der Verteidigung ihrer ureigenen demokratischen Grundprinzipen.