Ein kleiner Schritt vorwärts

Verständlicherweise hat die Weltpolitik, die mehr denn je genug gravierende -und sogar existenzgefährdende- Probleme hat, kaum Zeit oder Anlass besondere Aufmerksamkeit auf den kleinen Konflikt zwischen Katalonien und Spanien zu verwenden. Es gibt aber manchmal Entwicklungen in Konflikten aller Art, die erst unbeachtet bleiben, aber im nachhinein sich als Ursache für große späetere Veränderungen erweisen. Und eine Entwicklung dieser Art hat jetzt in Katalonien meines Erachtens stattgefunden.

Erinnern wir uns: vor ein paar Jahren haben die katalanischen Exilpolitiker um Carles Puigdemont zusammen mit einigen anderen Persönlichkeiten aus dem katalanischehn Inland einen „Rat für die Republik“ ins Leben gerufen, als katalanische politische Institution ausserhalb des spanischen Machtbereiches. Von Anfang an hatte man die Absicht, diesen Rat mit einer Volksvertreterversammlung zu vervollständigen (um folgenden: VVV, um mich bequemerweise das Schreiben zu erleichtern). Die VVV sollte von den katalanischen Bürger gewählt werden, die sich bei dem Rat für die Republik als Unterstützer eingeschrieben haben (bis jetzt über 100.000). Aus vielen Gründen hatte sich die VVV-Gründung sehr hinausgezögert. Aber an diesem letzten Oktober-Wochenende ist die Wahl (elektronisch und mit allen Transparenzgarantien) erfolgt. Es hatten sich 525 Kandidaten für die 121 Sitze der VVV zur Wahl gestellt. Von diesen 121 Sitzen, 41 waren für Kandidaten reserviert, die in einer gewählten Funktion arbeiten, d.h. Abgeordnete des katalanischen Parlaments oder der Kreistage, Gemeinderäte, etc.  Für die restlichen 80 Sitze (vier davon reserviert für den Auslandskatalanen) konnte jeder Bürger kandidieren. So sind diese gewählten Mitglieder der VVV unabhängig von jeder Parteidisziplin und nur ihren Wähler und ihrem Gewissen verantwortlich. Gewünscht wurde eine Geschlechterparität, aber die Wahl hat sogar einen 70 % Frauenanteil der Sitze gebracht. Bis hier die schlichten Fakten. Und jetzt soll ich begründen, warum ich das alles als „ein kleiner Schritt vorwärts“ nenne.

Es ist ein Schritt vorwärts, weil es bedeutet, dass die katalanische Unabhängigkeitsbewegung jetzt über einem Werkzeug verfügen kann, dass nicht nur eine große Rolle bei der Internationalisierung des Konfliktes spielen kann, sodern auch eine entscheidende bei der Koordinierung aller katalanischen Aktionen im In- und Ausland.. Und es ist auch nur ein „kleiner“ Schritt, weil die VVV ihre wahre und große Bedeutung nur durch ihr tatsächliches Funktionieren erreichen kann. Wobei eines (und sehr wichtiges) zu bemerken ist: die vordringlichste Aufgabe dr VVV wie vornehmlich den Kampf sein gegen alle Gesetz- und Rechtsverletzungen der spanischen Machthaber und der spanischen Justiz, gegen ihre Willkür, die nicht mal grundsätzliche Menschenrechte respektiert.

Ihre Gegner werden wahrscheinlich die VVV belächeln und bespötteln als ein kleines Grüppchen, das von einem, auch kleinem Grüppchen gewählt worden ist. Und ihre Häme wird die Tatsache ignorieren, dass hinter diesem kleinen Grüppchen die Millionenmasse steht, die vor der Pandemie mehrmals die Straßen Kataloniens gefüllt hat.

Tatsache ist, dass die spanische brutale Repression gegen Katalonien (die unvermindert weitertobt) etwas doch erreicht hat: nämlich, dass eine ganze Reihe katalanischer Politiker mutlos geworden ist und jetzt die Unabhängigkeit als etwas sehen, dass nur in einer eher fernen Zukunft zu erreichen sein wird. Die autonomischen katalanischen Institutionen sind fest in dem Griff der spanischen Zentralregierung und der spanischen Hohen Gerichte, die willkürlich bestimmen, worüber man dort reden oder stimmen kann, und jede Entscheidung kassieren, die ihnen nicht passt.

Damit aber gibt sich ein sehr grosser Teil der katalanischen Bevölkerung nicht zufrieden. Mit jedem willkürlichem Gerichtsurteil, mit jeder ungerechte Inhaftierung, mir jeder skandalösen Geldstrafe, wünscht sich diese „kritische Masse“ des Volkes immer entschiedener einen eigenen und wirklichen Rechtsstaat , in dem die Justiz diesen Namen verdient und nicht Lüge und Meineid stillschweigend erlaubt und sogar gefordert werden.

Die VVV kann eine sehr wichtige Rolle in der Verfolgung dieser Ziele spielen. Und wenn ihre Arbeit den Hoffnungen vieler entspricht (und das lässt auch das bewiesene Engagement ihrer Mitglieder erhoffen) wird man möglicherweise eines Tages sie als das Schwert ansehen, dass den gordischen knoten der Angst, des Pessimismus und der Hoffnungslosigkeit zerschnitten hat und (so viel es noch kosten wolle) der Weg zu einem katalanischem wirklich demokratischen Rechtsstaat frei gemacht hat. Und es wird (meine ich zuversichtlich) der Tag kommen, dass Europa diesen Kampf um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (nichts anderes ist in diesem Fall der Wunsch nach Unabhängigkeit) nicht mehr ignorieren können wird, und endlich (und hoffentlich bald) Spanien mir derselben Latte wie Polen, Ungarn oder die Türkei wird bemessen müssen.

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