Der lästige Wecker

Jeder hat das irgendwann erlebt. Man schläft und hat recht angenehme Träume. Mit einem Mal macht sich der lästige Wecker bemerkbar und läutet Sturm, und wir sind wieder mit der harten Wirklichkeit des Lebens konfrontiert. Das haben jetzt die Politik und die Justiz in Spanien erlitten. Die waren so bequem in ihrem Paradies der Träume häuslich eingerichtet. Ein Paradies, wo die Einheit Spaniens der absolute Wert war, der über alles stand. Über den Gesetzen, über der Wahrheit und über der Vernunft. Jetzt hat aber der EuGH mit seinem Urteil über die Immunität der katalanischen gewählten Abgeordneten (im Gefängnis oder im Exil) die Rolle des unangenehmen Weckers übernommen, und plötzlich sind die spanische Nationalisten mit einer für sie sehr unangenehmen Wahrheit konfrontiert worden. Nämlich, dass sie mal Verträge unterschrieben haben, die ihnen nicht nur bequeme Rechte gebracht haben, sondern auch unausweichliche Pflichten. Und eine davon ist, dass die Entscheidungen der europäischen Justiz, über der der spanischen stehen und unbedingt zu befolgen sind. Und dass bei der europäischen Justiz, jenes heiliges Dogma der Einheit Spaniens nicht gilt, sondern die Gesetze und Verträge, die auch Spanien mal unterschrieben und ratifiziert hat. Und jetzt ist die Empörung groß!

Da schreien alle Fanatiker (und es sind gar nicht wenige) Zeter und Mordio, beschimpfen diese Ignoranz der Europäer und plädieren sogar für einen Spexit. Das beschreibt sehr gut dieser Artikel von Ralf Streck:

https://www.heise.de/tp/features/Katalanischer-Exil-Praesident-Puigdemont-sitzt-nun-doch-im-EU-Parlament-4621750.html?seite=all

Wie können denn diese Leute so erstaunt (und böse) darüber sein, dass die Mitgliedschaft in der EU auch klare Pflichten mit sich bringt? Vicent Partal, der Journalist, den ich immer wieder (und gerne) zitieren muss, beschreibt diese Begebenheit, die darüber vielleicht Klarheit bringt. Partal sagt: „Ein englischer, hoher beamte der EU hat mir mal eine Geschichte erzählt, die ich sehr einleuchtend finde. Als Großbritannien in die EU reinkam, war er in der Grupper, welcher die Verhandlungen seitens seines Landes führte. Das war 1972. Und etwa zehn Jahre später, fand er sich wieder in einer anderen Verhandlung über die Mitgliedschaft Spaniens, diesmal auf der Seite der Europäischen Gemeinschaften. Aber der Unterschied, sagte er mir, war abgrundtief. ‚Wir rangen um jedes Wort und um jeden Artikel, aber die Spanier billigten einfach alles‘. Seine Folgerung erstaunte mich sehr aber es hat mir auch die Augen geöffnet: ‚Am Ende habe ich verstanden, dass sie gar nicht daran dachten zu befolgen, das was sie unterschrieben‘.“

Diese Einschätzung des britischen Beamten hat sich mehr als einmal bewahrheitet. Wie Partal erklärt war Spanien, nach der letzten verfügbaren offiziellen Daten (vom Dezember 2018) der Staat in der Union mit den meisten eröffneten Verfahren wegen Verletzung der Normen oder Gesetze der EU. Damals waren 97 Verfahren anhängig, weil Spanien verbindliche Regeln der EU nicht oder zu spät angewendet hatte.

Gemäß seiner Bevölkerungszahl (8 % der Bevölkerung der EU) ist Spanien in dem europäischen Beamten Apparat überrepräsentiert (16 %) Und diese Beamten mit spanischen pass haben anscheinend sehr viel Druck in er EU gegen Katalonien ausgeübt. Jetzt aber hat der Wecker geläutet und sie sind bestürzt und böse. Sie verstehen anscheinend die Welt nicht mehr. Und das hat unter anderem die Fraktionsvorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, die Spanierin Iratxe Garcia,  dazu gebracht eine sehr hässliche Szene dem Parlamentspräsident Sassoli zu machen, mit Schreien und Papiere auf den Boden zu werfen wie ein schlecht erzogenes Kind. Wie Partal sagt: „Diese Respektlosigkeit der spanischen Parlamentarierin zeigt von einer Besitzerauffassung der EU, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Und das ist so, weil die spanischen Eurocraten dachten, dass die EU eine leicht zu melkende Kuh wäre, von der alle nur denkbare Vorteile zu kriegen wäre, aber ohne jede Pflicht seitens Spanien“.

Das spiegelt sich auch in der Position der spanischen Staatsanwaltschaft wider, die verlangt, dass  -trotz seiner von dem EuGH bestätigten Immunität- die europäischen Haftbefehle gegen Puigdemont und Comin aufrechterhalten werden. Was erdreistet sich Europa die Weisheit der spanischen Hohen Richter ignorieren zu wollen? Unerhört! Europa als unwürdiger Haufen von Ignoranten: so sehen es die Hohen Priester des Dogmas der Heiligen Einheit Spaniens.

Ich hoffe sehr, dass die große Mehrheit der Abgeordneten in dem Straßburger Parlament sich hinter ihren Vorsitzenden David Sassoli stellen werden, und die noch zu erwartenden spanischen tricks gegen das Urteil des EuGH abwehren werden. Wie z.B. dass der widerrechtlich gefangene Oriol Junqueras die Akkreditierung für das EU Parlament in Madrid erhalten soll. Klar. um anschließend  ihm wieder hinter Gitter zu stellen. Oder dass ihm wieder seine Wahl nicht anerkennen. Oder die Aufhebung der Immunität von Puigdemont und Comin zu verlangen. Oder was noch für „brillante“ Ideen aus Madrid noch kommen könnten, um die Demokratie und die Grundprinzipien der EU auf dem Altar des spanischen Nationalismus zu opfern.

Das Urteil der EuGH ist wie ein kleiner aber entscheidender Druck, das einen „Domino-Effekt“ in Gang setzt, und die ganzen widerrechtlichen Konstrukten der spanischen Hohen Gerichte schon zum Sturz bringt. Über andere „Merkwürdigkeiten“ der spanischen Justiz mehr demnächst…

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