Wenn alles außergewöhnlich ist

Wenn nicht etwas sehr Gravierendes und nicht Vorgesehenes geschieht, entweder am 17.01 oder am 30.01, wird die Mehrheit im katalanischen Parlament entweder wieder Carles Puigdemont als Regierungspräsident wählen, oder es wird sich irgendeine Lösung finden, welche die Legitimität des exilierten Präsidenten bewahrt. Das wird für die spanische Politik eine unerwartete aber mehr als verdiente Ohrfeige sein; für viele europäische Politiker, auch eine unerwartete Wendung sein, weil sie aus welchem Grund auch immer die Wirklichkeit in Katalonien nicht wahrnehmen wollten. Für den meisten Katalanen ist aber diese die einzig denkbare Lösung: die Legitimität der abgesetzten Regierung wieder herzustellen oder zu bewahren und der willkürlichen Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung eine Abfuhr zu erteilen.

Es wird als möglich betrachtet, dass Spanien (König, Verfassungsgericht, etc.) diese Ernennung nicht akzeptiert und für null und nichtig erklärt. Damit wäre wieder mal eine demokratische Entscheidung des Volkes ignoriert und mit Füßen getreten. Auch für diesen Fall werden aber die Katalanen wie auch immer eine Notlösung finden. Das alles wird aber gar nichts zu tun haben mit der von der spanischen Regierung erwarteten „Normalität“ nach den Wahlen.

Die Regierungsbildung wird wie ein Hindernisrennen sein. Des gewählte Ministerpräsident, im Exil und mit der Androhung der Verhaftung, wenn er nach Katalonien zurückkehrt, wird wahrscheinlich den außergewöhnlichen Weg der Videokonferenz wählen müssen, der von der Opposition nicht akzeptiert wird (obwohl z.B. in den USA Beispiele von deren Anwendung gibt) unter Hinweis auf das Reglement des Parlaments. Das ist gelinde gesagt lächerlich. Außergewöhnliche Zustände erfordern außergewöhnliche Lösungen, sei es diese (es ist nicht die einzige, die in Gespräch ist) oder eine andere, seien sie beanstandet oder nicht. Hellsehereiversuche wären hier auch vollkommen lächerlich. Das Ganze wird wahrscheinlich (und leider) ein neues Beispiel der willkürlichen Anwendung von Gesetzen und der Ignorierung demokratischer Normen seitens der spanischen Behörden werden. Bis Ende des Monats werden wir schlauer sein.

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Noch eine Bemerkung am Ende. Einige Leser werden sich fragen: „wieso sagt der Mann, dass die meisten Katalanen diese Entwicklung begrüßen? Wieso, wenn die Unabhängigkeitsparteien wieder unter 50 % der Stimmen geblieben sind?“ Ich möchte um Nachsicht bitten, wenn ich hier dann wiederhole, was ich mehrmals in diesen Artikeln gesagt habe. Das wirkliche Verhältnis zwischen Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit kann nicht in einer Atmosphäre der Angst und Einschüchterung geklärt werden. Das Thema der Angst habe ich mehrmals hier erörtert. Ein teil der Bevölkerung hat noch nicht die Angst vor gewalttätigen Reaktionen Spaniens überwunden. Und die letzten Ereignisse haben sie bestimmt noch vergrößert. Um es nochmals zu sagen: nur durch ein Referendum, das friedlich und ohne Hindernisse abgehalten werden kann, mit der Gewissheit, dass diese Ergebnisse von allen respektiert werden, nur durch ein solches Referendum wird man klar und verlässlich wissen, wie die wirkliche Meinung der Mehrheit ist. Angesichts der außergewöhnlichen Verhältnisse der Wahl am 21. Dezember muss man es schon als ein Wunder betrachten, dass die drei Unabhängigkeitsparteien -mit so viele Faktoren gegen sie- sich wieder so klar behaupten konnten. Und es ist unredlich die Ergebnisse so zu kritisieren, als ob sie wie in eine ganz normale Landtagswahl in Bayern oder in Hessen erzielt worden wären.

2 Kommentare

  1. respirarconarboles

    Sehr geehrter Herr Grau, benvolgut Pere,
    zwanzig Jahr nachdem Sie nach Hamburg gezogen sind, bin ich von Geesthacht nach Barcelona gezogen, und zwar nach Katalonien; die Tatsache, dass ich somit auch nach Spanien gezogen bin, ging ganz einfach damit einher, war aber eher zweitrangig. Mein Gedanke damals war, dass ich bei dem Aufbau einer neuen Demokratie dabei sein wollte.
    Am 6. September 2016, als ich in den Nachrichten die Parlamentsbeschlüsse des Tages sah, hat sich in meinem Innern etwas ingang gesetzt. Ich hatte das Gefühl, dass jetzt beginnt, wofür ich hergekommen bin und worauf ich mich in all diesen Jahren vorbereitet habe.
    Ich arbeite in privater Praxis mit Leuten, die die Muster, in denen sich ihr psychisches Erleben im Körper organisiert, kennenlernen und gegebenenfalss verändern wollen. Es dreht sich also grundsätzlich um Selbstbestimmung, und zwar ganz direkt und persönlich, was sich dann auch auf den kollektiven Bereich erstreckt, so dass man in der Lage ist, bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens aktiv mitzuwirken.
    Es freut mich, Ihre Texte zu lesen. Zum einen bin ich froh endlich jemanden zu haben, an den ich meine verbleibenden Freunde und Angehörigen in Deutschland verweisen kann, jemand, der die Dinge so darstellt, wie auch ich sie sehe (…soweit ich das beurteilen kann. Ich habe ja noch nicht alles gelesen, was Sie hier auf diesem Blog veröffentlicht haben. Aber bis jetzt stimme ich voll mit Ihnen überein).
    Zweitens glaube ich an die Kraft der Vernetzung. Ich glaube, dass die Tatsache, dass wir voneinander wissen, unsere Kraft nicht nur verdoppelt sondern exponential vervielfältigt. In den letzten Monaten habe ich so einiges über den Prozess der katalanischen Selbstbestimmung geschrieben in einem Blog auf Deutsch: http://ellabuchenwald.blogspot.com.es/ ,
    einem auf Spanisch und Katalanisch: http://unrespirodeairefresco.blogspot.com.es/,
    und einem auf Englisch: http://brigitte2.typepad.com/.
    Einen WordPress Blog habe ich auch, aber der ist nicht besonders aktiv. Schliesslich hat der Tag ja nur 24 Stunden, und ich hocke auch nicht ständig am Computer.
    Ausser den Blogs habe ich eine Webseite über meine Arbeit: http://www.dfa-europa.com.
    Sollten Sie mal hier in Barcelona sein, würde ich mich freuen, wenn wir uns mal treffen könnten.
    Inzwischen, wenn Sie meinen Gesichtspunkt für interessant halten, könnten Sie ihn vielleicht weiterreichen, wie auch ich den Ihren an meine deutschen Kontakte weiterleiten werde.
    Wenn jemand in Ihrem Umfeld Unterstützung in Sachen körperlicher und geistiger Gesundheit braucht, kann ich meine Dienste anbieten (siehe Webseite).

    Zum Abschluss noch ein Termin: der 3. und 4. Februar – Simposi d’Interioritat Compromesa, http://www.dfa-europa.com/CA/x011/conferencies.html , in Barcelona, wo ich eine praktische Erfahrung des Körpers im Verhältnis zur Schwerkraft präsentieren werde: La relació entre el cos i el camp gravitatori.

    Herzliche Grüsse,
    Brigitte Hansmann

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    • Pere Grau Rovira

      Sehr geehrte Frau Hansmann, leider gestatten mir Alter und Gesundheit nicht mehr nach Katalonien zu reisen. Ich werde nie mehr meine Heimat sehen. Aber ich werde weiter für sie kämpfen. Da Sie, wie ich von ihre Nachricht entnehme, auch schon katalanisch kennen, kopiere ich hier die letzten Zeilen von einem meiner Gedichtsammlung „Gedichte einer schwierigen Heimat“:
      „Poble meu de Catalunya / sempre fins la meva fi /seré, per lluny que n’estigui, / el teu veí de camí.
      Ich kann nicht anders. Danke für Ihre liebe Worte.

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