Die große Farce (14) und über eine vertane Chance
Nächste Woche, am 11. oder 12. Juni, wird der skandalöse Schauprozess in Madrid zu Ende gehen und die Verkündigung der Urteile wird für Ende September oder Anfang Oktober erwartet. Schon jetzt sind für jeden objektiven Beobachter zwei Tatsachen klar bewiesen.
Erstens: die vier Monate des Verfahrens werden keinen Einfluss auf die abschließende Urteile haben. Diese waren von vornherein vorgesehen. Die ganze Zeit wurden Lügen und Meineide vieler Zeugen der Anklage akzeptiert und ermutigt, während die zahlreichen Beweise für die Absurdität der Anklagen unterdrückt oder einfach ignoriert wurden. Die von der Staatsanwaltschaft weiterhin verlangten Urteile (für eine „Rebellion, die nicht stattfand) sind von drakonischer Härte und (wie mehrmals berichtet) als Warnung und Einschüchterung für alle katalanische Politiker gedacht. Die Regierungsanwaltschaft (juristische Berater der spanischen Regierungen) ist zwar von der Anklage wegen Rebellion abgegangen, beantragt aber auch für „Aufruhr“ Gefängnisstrafen, die „moderater“ sind als die von der Staatsanwälte verlangten, aber trotzdem genau so exzessiv und ungerecht sind, weil es einen Aufruhr (nach Maßstab des spanischen Strafgesetzbuches) so wenig gab wie eine Rebellion. Das einzig gerechte Urteil wäre die bedingungslose Freilassung der Gefangenen, aber damit rechten niemand mehr.
Über die zweite Tatsache hat am 4.06. der katalanische Starjournalist Vicent Partal (die in diesen Seiten oft zitiert wurde) hingewiesen: diese juristische Farce und die skandalöse Bestrafung der Angeklagten ist für die Lösung des katalanischen Konfliktes völlig unnütz, weil Strafen und Drohungen die Probleme nicht verschwinden sondern im Gegenteil wachsen lassen werden. Weil diese Art mit ihnen umzugehen. wird immer mehr Katalanen davon überzeugen, dass man ihnen in diesem Staat elementare Grundrechte verweigert und nie ihre Versuche aufgeben werden, sich davon zu trennen. Und was dann? Jede 4 oder 5 Jahre wieder Politiker einsperren und Schauprozesse inszenieren? Die Hoffnung der spanischen Machthaber, dass die Katalanen doch dadurch aufgeben werden, ist so vergeblich wie auch dumm. Weil es von ihrer erschreckender Unfähigkeit zeigt die Wirklichkeit wie sie ist zu erkennen. Weil es diese Machthaber, in ihrem Nationalismus und in ihrer Angst gefangen, nicht mehr das Geld der Katalanen für unsinnige Projekte und für Klientelpolitik vergeuden zu können, nichts anderes einfällt als Benzin ins Feuer zu giessen, dass sie auslöschen wollen.
Das alles ist nicht nur empörend. Es ist auch sehr traurig, wenn man darüber bedenkt, dass Spanien nach dem Tod des Diktators eine einmalige Chance gehabt hätte, ein Modell für die ganze Welt zu sein. Und wenn damals die Drohungen der Militärs das verhinderte, hätte die Chance noch später verwirklicht werden können. Dafür aber wären außergewöhnliche Staatsmänner nötig gewesen und das waren die mittelmäßig regierenden Politiker Spaniens bei weitem nicht. Spanien hätte der Welt zeigen können wie in einem Staat, wo mehrere Völker zusammen leben, diese Diversität mit gegenseitigem Respekt und mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit aller, auch zum Wohle aller benutzt werden kann. Nicht mit Zwängen, Drohungen und Strafen. Nicht mit der Abdankung der Politik zugunsten einer politisierten Justiz. Die Chance wurde nicht nur vertan, sondern sie wurde auch noch durch die ständige Propagandahetze gegen den Katalanen immer unmöglicher. Die spanische Politiker haben dem spanischen Volk, oft aus kurzsichtigen und falsch verstandenen Parteiinteressen einen Haufen Lügen über Katalonien erzählt. Und diese Winde, die sie gesät haben, kommen jetzt als unhaltbarer Sturm auf sie zurück. Ein Sturm, dem sie in ihrer blinden Mittelmäßigkeit nicht gewachsen sind.
Wie es bei den Katalanen gärt, wird man noch oft genug sehen können. Nächste Woche, nach Ende der „großen Farce“, werden überall in Katalonien Protestdemonstrationen stattfinden. An dem Tag der konstituierenden Sitzung des europäischen Parlamentes in Straßburg, am 2. Juli, werden Tausende Katalanen vor dem Gebäude des EP demonstrieren. Wenn die Urteile bekannt werden (September oder Oktober), wird in Barcelona auch wieder eine Massendemo veranstaltet werden, zu der mehr als eine Million Bürger erwartet werden. Und das alles werden nur die Vorboten des Sturms sein. Ein Sturm, der seitens der Katalanen weiter gewaltlos sein wird, aber Katalonien für Spanien unregierbar machen könnte. Möchte Europa es soweit kommen lassen?