Einige notwendige Berichtigungen

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist gerechterweise als eine der besten und seriösesten Zeitungen Deutschlands bekannt. Das heißt aber nicht, dass ihre Berichterstattung unfehlbar sei. Keine der Medien in der ganzen Welt ist das. In der Frage des spanisch-katalanischen Konflikts tendiert die FAZ immer -mehr oder weniger- zu der spanischen Version des Geschehens. So ist das jetzt auffallender weise in einem Leitartikel des Korrespondenten der FAZ in Spanien H.C. Rößler, am 26.02.19 geschehen („Stillstand in Spanien“). Wohl gemerkt: ich unterstelle Herrn Rößler keinesfalls unlautere Absichten. Er gehört aber nun mal zu den zahlreichen deutschen Journalisten, welche vor einer Sezessionsbewegung (auch auf Grund der deutschen Geschichte) grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, und ihre Informationen hauptsächlich oder sogar ausschließlich aus dem spanischen Umfeld, in dem sie sich bewegen, beziehen. Der genannte Artikel gibt mir Gelegenheit aus dem katalanischen Gesichtspunkt einige grundsätzliche Fragen zu beanstanden und zu berichtigen. Ich tue es in der Gewissheit, dass viele Leser weiter Herrn Rößler und nicht mich als glaubwürdiger einschätzen werden. Aber wenn vielleicht der eine oder der andere dadurch zum Nachdenken gebracht wird, wäre schon der Zweck dieses Textes erfüllt. Schauen wir mal, welche Sätze des Artikels in der FAZ ich beanstanden möchte.

„[Pedro Sánchez…] … scheiterte an den unrealistischen Maximalforderungen aus Barcelona, und an der Ablehnung, die ihm von vielen Spaniern entgegenschlug…“. Welche Forderungen werden „maximal“ genannt? Wesentlich handelt es sich dabei um zwei. Erstens: die Freilassung der politischen Gefangenen, die durch unsinnige und erfundene Anklagen in eine (in dieser Länge ungesetzliche) „Präventive Schutzhaft“ gehalten worden sind, und die freie Rückkehr (aus demselben Grund) der exilierten Politiker. Zweitens: die Abhaltung eines Referendums, in dem die katalanischen Bürger zwischen der Unabhängigkeit und einem konkreten Angebot der spanischen Regierung für den Verbleib in Spanien wählen können. Da die Anklagen gegen die politischen Gefangenen  aus hanebüchenen, erfundenen Grundlagen entstanden sind, halte ich diese Forderungen eher als minimal. Die zweite Forderung bringt uns auf den zweiten Punkt meiner Beanstandung:

„Wer ein Selbstbestimmungsrecht  für die Regionen und die Möglichkeit eines legalen Referendums fordert, muss die Verfassung ändern“. Irrtum. Die Verfassung muss nur vollständig gelesen werden und nicht nur die Teilen herauspicken, die den Machthabern genehm sind. Wie in diesen Seiten mehrmals ausgeführt wurde, sind die von Spanien ohne Reserven akzeptierten und ratifizierten Internationalen Pakten für Zivile und Politische Rechte der UNO integraler Bestandteil der Verfassung mit Priorität auf frühere anders lautende Bestimmungen oder Gesetze, So festgestellt in den Artikeln 10.2 und 96.1 der spanischen Verfassung. Wenn die spanischen Politiker oder das spanische Verfassungsgericht anderer Meinung sind, wäre es ihre Pflicht gewesen, dieses Thema mit der UNO ordentlich zu klären, bevor sie willkürlich friedliche Politiker inhaftieren, deren Wirken durch die genannten Paragraphen de Verfassung geschützt ist.

Wenn wirklich dafür die Verfassung geändert werden sollte, wäre das unmöglich, weil dafür im spanischen Parlament, wo das „heilige Dogma“ der Einheit Spaniens über alles herrscht, nie eine Mehrheit zu bekommen wäre. „Maximalforderungen“? Nein. Nur unabdingbar.

Vorher heißt in dem Artikel auch: „Auf beiden Seiten fehlt die Bereitschaft zu einem Wandel durch eine langsame Annäherung, zum langsamen Aufbau von Vertrauen“.  Der Satz ignoriert die vielen jahrelangen Bitten der Katalanen um Reformen, die grob abgelehnt wurden. Es ignoriert auch die Demolierung des Autonomiestatuts (ein Dokument, das schon durch ein Referendum von den Katalanen akzeptiert wurde, von dem spanischen Parlament bestätigt und der König schon unterschrieben hatte). Durch dieses und auch andere Husarenstücke des spanischen Ultranationalismus wurde das Vertrauen der Katalanen in den spanischen Politiker total zerstört. Und diese haben gar nichts getan (auch Sánchez nicht), um dieses Vertrauen auch nur annähernd wieder herzustellen.

Über den laufenden Prozess gegen den politischen Gefangenen merkt Herr Rößler an: „Am Ende müssen die Urteile die Überprüfung des Verfassungsgerichts und der Europäischen Gerichtsbarkeit standhalten“. Soll das ein Trost sein? Das Verfassungsgericht hat schon zur Genüge gezeigt, dass durch die Gesinnung ihrer von der Politik ernannten Mitglieder auch die haarsträubendsten Urteile gut geheißen wird, gegen die, „die Spanien zerbrechen wollen“, ganz egal was das internationale Recht oder das spanische Strafgesetzbuch sagen mögen. Und die Mühlen des Europäischen Gerichtshofs mahlen so langsam, dass die Verurteilten fünf oder sechs Jahre hinter Gitter bleiben können, bevor dort ein Urteil getroffen wird. Rosige Perspektiven fürwahr…

„In Barcelona versucht man den Eindruck zu erwecken, als herrsche immer der Diktator Franco […] Diese dunkle Zeiten sind jedoch längst vorbei“. Für viele Aspekte des täglichen Lebens ist das wahr. Aber der Geist der Francozeit hat nie aufgehört zu existieren und die spanische Politik weiter zu bestimmen, wenn es (schon wieder) um die „heilige Einheit Spaniens“ geht. Dann sind für Willkür und Rechtsbeugung Tür und Tor so offen wie damals.

Der Autor übernimmt auch für die politische Landschaft Spaniens die Adjektive, die so viele ausländische Journalisten ziemlich gedankenlos benutzen. Vox solle eine „rechtspopulistische Partei“ sein. Sie ist weit mehr als das: eine neofaschistische  Partei, fremdenfeindlich, homophob. gegen „übermäßige“ Rechte der Frauen etc. Und Ciudadanos mag wirtschaftlich als liberal bezeichnet werden können. Aber sehr große Teile der Partei sind genau so rechtsextrem wie Vox und wurden heute besser als morgen (und das war der Grund für ihre Entstehung) die katalanische Nation und ihre Sprache und Kultur ausrotten und alles in eine uniform gewordenes Spanien aufgehen lassen.

In einem Punkt hat bei Herr Rößler doch recht: dass die Lage sehr verfahren ist und der Stillstand zementiert wird, anstatt „eine Koalition der verantwortungsvollen Vernunft zu bilden“. Wenn aber in Spanien die verantwortungsvolle Vernunft etwas zu melden gehabt hätte, wäre nie das katalanische Autonomiestatut 2010 zu einem leeren Gerippe geworden und man hätte nie zu der heutigen vertrackten Lage zu kommen brauchen.

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