Totgesagte leben länger

Wenn man viele Nachrichten über Katalonien in den deutschsprachigen Medien glauben sollte, könnte man meinen, dass die Unabhängigkeitsbewegung gescheitert ist und sich bestenfalls in einen hoffnungslosen Rückzugsgefecht befindet, das keine Perspektiven mehr auf Erfolg hat. Der Präsident in Exil und niedergeschlagen, die Unabhängigkeitsparteien uneinig und gespalten; die ganze katalanische Politik orientierungslos, u.s.w.  u.s.w.

puyal

In der Karikatur, sagt die Unabhängigkeitsbewegung, aus dem Sarg: „Was für einen Schreck werden sie alle bekommen, wann ich wieder hochkomme…“

Wie so oft (und ich werde nicht aufhören darauf hinzuweisen) haben diese zahlreichen Kassandrastimmen zu wenig oder zu kurz recherchiert, falls sie es überhaupt getan haben. Obwohl ich ein überzeugter Pazifist bin, können manchmal militärische Begriffe ganz nützlich sein, um eine Situation wie die jetzige zu beschreiben. In diese Kategorien, kann man sagen, dass die Katalanen keineswegs schon auf der Flucht sondern dabei sind, sich in ihren Winterquartieren wieder zu sammeln, um den Kampf mit einer anderen Schlachtordnung fortzusetzen.

Seit Ende September 2017 ist eine Etappe der friedlichen, katalanischen Revolution endgültig vorbei. Eine Etappe, in welcher die Katalanen (im nachhinein kann man sagen: ziemlich naiv) dachten, dass es in der Europäischen Union, im 21. Jhdt., ethisch politische Grenzen gäbe, welche kein Mitgliedstaat ignorieren könnte, auch nicht Spanien. Die blindwütige spanische Intervention in Katalonien, die weder die spanische Verfassung, noch das spanische Strafgesetzbuch, noch die Internationalen Pakte für Menschenrechte respektiert hat, hat ihnen diese verständliche Illusion brutal ausgetrieben. Und alles ist geschehen begleitet von einem befremdlichen, unverständlichen Schweigen der europäischen Institutionen, die -anscheinend- weder die Tragweite der katalanische Revolution, noch die Folgen ihres Schweigens nicht mal annähernd richtig eingeschätzt haben. Eines gar nicht fernen Tages werden Herr Juncker und seine Mannen hoffentlich verstehen, welchen Schaden sie den europäischen idealen verursacht haben.

Während die spanische parteiische Justiz grundanständige Bürger, erklärterweise nur wegen ihrer Ideen, in Haft weiter schmoren lässt und die spanische Regierung alle Tricks anwendet, um die Ergebnisse der katalanischen Wahlen vom 21. Dezember nicht respektieren zu müssen, haben die katalanische Parteien Zeit gebraucht, um auf die neue Situation angemessen reagieren zu können. Dabei haben sie auch alle erst Fehler gemacht (was in dieser historischen Ausnahmelage wohl verständlich sein darf), aber sie scheinen jetzt über die neue „Schlachtordnung“ einig zu sein, und in den nächsten Tagen und Wochen wird sich zeigen, dass die von vielen totgesagte katalanische Revolution lebendig wie eh und je ist.

Man kann jetzt nicht voraussehen, wie genau sich das manifestieren wird. Aber zweierlei kann man fast sicher schon sagen. Erstens: seitens der Katalanen wird die Gewaltlosigkeit weiter eine feste Komponente ihres Tuns sein. Zweitens: seitens der spanischen Behörden wird sich wahrscheinlich das Ausmaß der Repression blindwütig verschärfen. Das scheint sich jetzt schon anzuzeigen mit der angedrohten Geldstrafen an alle identifizierten Manifestanten, die am 30. Januar vor dem katalanischen Parlament ihre Unterstützung für die Abgeordneten Ausdruck verleihen wollten.

Die neue Strategie der Katalanen wird neue, kreative, unerwartete Seiten zeigen müssen. Eines dieser Aspekte scheint die Aktivierung der schon seit einigen Monaten initiierten Versammlung der gewählten katalanischen Mandatsträger zu sein, zu der bis jetzt ca. 4.000 Gemeinde- und Provinzräte, Abgeordnete im europäischen, spanischen und katalanischen Parlament etc. gehören. Die Einzelheiten werden bald bekannt sein.

Und dann werden (davon bin ich fest überzeugt) auch die größten Skeptiker erkennen müssen, dass eine Bewegung, die von mehr als 2 Millionen Bürgern entschieden mitgetragen wird nicht tot zu kriegen ist. Nicht mal mit Maßnahmen, die General Francos würdig sind (auch er hatte seine Gesetze und seine „Legalität“). Dass Europa keineswegs ein unliebsames Problem losgeworden ist und mit einem weiteren Schweigen jede Glaubwürdigkeit verlieren könnte, und dass Spanien und seine Regierung (von einer der korruptesten Parteien Europas) mit ihrer Blindheit nur die Geschwindigkeit der Trennung von Katalonien beschleunigt hat. Weil Totgesagte länger leben als manche möchten.

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