Über taube Ohren und blinde Lemminge

Nochmals – und das wird ab jetzt wahrscheinlich die Norm in diesen Artikeln – muss ich mehrere Tasten auf der Klaviatur der laufenden Ereignissen in Katalonien zusammenfügen. Und zunächst möchte ich meine Leser über zwei an die spanische Regierung gerichtete Ermahnungen informieren, die wie immer (wem wundert es?) auf taube Ohren getroffen sind.

Die erste kommt aus London. Vor einigen Wochen hat sich im britischen Parlament (konform mit den Regeln der Kammer) eine parteiübergreifende „All-Party Parliamentary Group“ zusammen gefunden, um die Ereignisse in Katalonien zu verfolgen. Vertreten sind Abgeordnete aller Parteien, es handelt sich also nicht etwa um eine Veranstaltung von Schotten und Iren, denen Nähe zu den Unabhängigkeitsbefürwortern quasi per Geburtsort unterstellt wird. Mit dem ihr eigenen „exquisiten“ Taktgefühl hatte die spanische Diplomatie, vertreten durch den spanischen Botschafter in London, gegen die Bildung dieser parlamentarischen Gruppe protestiert, was in Westminster allerdings nur ein verwundertes Kopfschütteln hervorrief. Nun, am 2. Mai, hat diese Gruppe einen Brief dem spanischen Ministerpräsident Rajoy zukommen lassen, in dem sie feststellt, dass das juristische Verfahren gegen die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell ein unerhörter Angriff auf die Meinungsfreiheit sei, ohne Präzedenz in der Geschichte Europas nach 1945. Die britischen Abgeordneten verlangen, dass das juristische Verfahren gegen Fr. Forcadell niedergelegt wird, und dass politische Wege eingeschlagen werden, um dieses politische Problem zu lösen. Man kann jetzt schon davon ausgehen, dass diese Ermahnung folgenlos bleiben und auf die übliche Mauer aus tauben Ohren treffen wird. Am Montag, den 8. Mai, wird Fr. Forcadell vor Gericht bei der ersten Sitzung dieses Verfahrens erscheinen müssen, und nichts lässt vermuten, dass dies das letzte Mal sein könnte.

Die zweite Ermahnung kommt aus Barcelona. Dort haben am 3. Mai 600 katalanische Juristen ein Manifest unterschrieben, in dem sie erklären, dass – entgegen den ständigen Behauptungen der spanischen Regierung – ein Referendum wie es die Katalanen planen sehr wohl im Rahmen der spanischen Verfassung durchgeführt werden kann „ohne an der Verfassung ein einziges Komma zu ändern“. In den Reden bei der Präsentation des Manifests sagte der Professor für Strafrecht, Joan Queralt, unter anderem, dass ohne Recht keine Demokratie möglich sei; dass aber das juristische System derzeit durch restriktive und sektiererische Interpretationen verfälscht würde; und dass jene, die das Recht nicht als Problemlösung sondern lediglich als Grundlage zur Bestrafung verstehen, die Krise nur verschärfen. Diese massive Intervention der katalanischen Juristen, die sich auf fachliche Argumente stützt, wird vermutlich ähnlich der Londoner Mahnung ebenso auf taube Ohren stoßen.

In einem gewohnt nüchternen Artikel hat der katalanische Journalist Pere Cardús im Onlineportal Vilaweb dargelegt, dass Spanien nur eine Möglichkeit bliebe, um vielleicht die Unabhängigkeit Kataloniens zu verhindern. Eine Möglichkeit, die leider utopisch scheint: eine totale Reform des spanischen  Staates, die ermöglichen würde, den Katalanen eine föderale oder konföderalen Lösung anzubieten, sodass eine spätere Rücknahme zugesprochener Rechte auszuschließen wäre. Zur Zeit aber ist eine solche Möglichkeit undenkbar. So bleibt noch die Möglichkeit, dass Spanien versuchen könnte, repressiv durch Gewaltanwendung mit massiven Festnahmen und Inhaftierungen zu reagieren. Das würde jedoch, in welcher Form auch immer, zu einer sofortigen Unabhängigkeitserklärung durch die verbliebenen Volksvertreter oder durch eine dann zu bildende Exilregierung führen. Außerdem  könnte eine solche Repression vermutlich nicht lange aufrechterhalten werden, wegen mangelnder materieller Mittel, aber auch wegen des unheilbaren Schadens für den Ruf Spaniens in Europa. Fazit: so wie die Katalanen jeden Schritt vorbereiten, und so wie die spanische Politik wie blinde Lemminge reagiert, ist die Unabhängigkeit nicht mehr zu verhindern, egal wie viele Hindernisse noch zu bewältigen sind. Eine dritte Möglichkeit -schreibt Herr Cardús ironisch – wäre der Zusammenbruch der Unabhängigkeitsbewegung. Nur ist diese stärker und gesünder als eh und je, zum Leidwesen ihrer Gegner. Auch dank tauben Ohren und blinder Lemminge auf der anderen Seite des Konflikts.

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