Welche Rechtsstaatlichkeit?

In den unverständlichen Debatte im Europäischen Parlament über die „Gefahren“ für die Rechtsstaatlichkeit in Spanien, welche das geplante Amnestiegesetz bringen würde, sollte man die (von den spanischen Ultranationalisten schändlich instrumentalisierte) Abgeordneten der EVP fragen, welche Art von Rechtsstaatlichkeit sie zu verteidigen glaubten. Der zweifelhafte Charakter der jetzigen spanischen Rechtsstaatlichkeit wird, glaube ich, durch ein Beispiel aus den letzten Tagen mehr als genug entlarvt.

Die Vorgeschichte: Vor wenigen Jahren gab es in Katalonien viele große Demos, um gegen die Inhaftierung von katalanischen Politikern und  ihre Verurteilung durch die Madrider Hohe Gerichte zu protestieren. In einer davon, während eine Attacke der Polizei gegen die Demonstranten, warf ein jünger Mann ihnen einen Feuerwerkknaller entgegen. In jedem Rechtsstaat ist das selbstverständlich strafbar. Aber in welchem Rechtsstaat wäre es möglich, wie in Spanien, dass das Urteil darüber Jahre auf sich warten lässt  und dann sieben Jahre Haft lautet?

Und wie verhält sich dieses Terrorurteil mit der Tatsache, dass die jetzigen Demonstranten gegen das Amnestiegesetz (in Madrid und woanders) soviel randalieren können wie sie wollen, ohne von der spanischen Justiz belangt zu werden?

Und wie verhält sich das mit der bisherigen Untätigkeit der spanischen Justiz gegenüber den Leuten (nicht nur Militärs), die offen zu einem Militärputsch gegen die Regierung aufrufen? Oder gegenüber denen, die zur Ermordung von Pedro Sánchez auch aufrufen, sogar mit Plakaten auf ihrer Demos? Oder mit dem Mann, der eine Fotomontage in die sozialen Medien  mit der Ermordung von J.F.Kennedy gestellt hat, aber mit dem Gesicht von Sánchez, und dazu mit dem begleitenden Text: „Hoffentlich trifft man auch diesmal!“ ? Könnte man eine solche Untätigkeit auch von deutschen Gerichten erwarten, wenn ein sogenannter Reichsbürger (zum Beispiel) so ein Foto mit dem Gesicht von Olaf Scholz veröffentlichen würde? Natürlich nicht. Aber Deutschland ist ein wirklicher Rechtsstaat, während Spanien ist, was ich eine „selektive Demokratie“ nenne, d.h., dass die demokratischen Prinzipien ignoriert werden, wenn es um Katalonien, oder generell um die Interesse des „deep states“ geht.

Und noch etwas möchte ich den EVP Abgeordneten verdeutlichen. Die meisten Katalanen (wie ich auch) wären doch zufrieden in Spanien zu bleiben, wenn der spanischen Staat nach der Eroberung Kataloniens in dem Krieg von 1714 die Katalanen seit damals für sich zu gewinnen versucht hätte. Aber das Gegenteil ist geschehen. In diesen dreihundert Jahren, mal mehr, mal weniger, mal in versteckter Form, mal ganz offen und brutal, hat man Katalonien weiter wie erobertes Gebiet behandelt, immer mit dem Ziel die Katalanen „klein zu halten“. Die Fortschritte Kataloniens in diesen Jahrhunderten sind alle nicht dank der Hilfe des Staates erreicht worden, sondern trotz der Hindernisse, die dieser ihnen  stellte.

Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe: den Katalanen, als „erzwungene Spanier“. wurde es nie ermöglicht „überzeugte Spanier“ zu werden. Und das tut der jetziger dubiose spanischen Rechtsstaat weniger denn je. Damit aber schafft man das „katalanische Problem“ nicht aus der Welt, sondern hat es schon lange den Bruch unvermeidlich getan, egal wie lange die effektive Trennung noch dauern sollte.

Vor kurzem, hat der Altsozialisten Felipe González behauptet, dass die katalanische Unabhängigkeits-Bewegung eine Minderheit wäre, „die in Begriff auszusterben ist“. Dass dieser dumme Spruch ein großer Irrtum war, werden ihm die nächsten Zeiten bald beweisen.

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