Spanische „Eigentümlichkeiten“

In dieser weltweit bewegten Zeiten wird bestimmt jemand mit dem Kopf schütteln, wenn ich immer wieder auf dem Konflikt Kataloniens mit Spanien zurückkomme. Aber was hier (und nicht nur hier) Spanien sich erlaubt, sollte bei allen Demokraten (wenigstens in der EU) die Alarmglocken klingen lassen.

Erster Fall. Die prominenten katalanischen politischen Gefangenen, die in einem skandalösen Prozess zu unverdienten Gefängnisstrafen verurteilt wurden, durften seit kurzem (im Einklang mit dem geltenden spanischen Recht) einige Tage in der Woche tagsüber das Gefängnis verlassen, um einer Arbeit nachzugehen, und 3 Nächte in der Woche zu Hause schlafen. Das schien für den spanischen deep state unerträglich zu sein, und jetzt hat die Staatsanwaltschaft das Obergerichtshof gebeten, diese Erleichterungen für diese „wegen Aufruhr verurteilten Gefangenen“ zu verbieten, und zwar „vorsichtshalber mit sofortige Wirkung“.

Der spanische Regierungschef hat sich wieder aus der Verantwortung gezogen, indem er sagte, dass es nicht Sache der exekutive ist, sich in Urteile der Judikative einzumischen. Er hat damit außer Acht gelassen, dass in Spanien die Staatsanwaltschaft direkt der Regierung unterstellt ist, und diese sehr wohl in die allgemeine Richtung der Tätigkeit der Staatsanwälte mehr als ein Wörtchen mitzureden hat.

Diese nachträgliche und willkürliche Rechtsbeugung, macht endgültig zunichte jeden Versuch eines ehrlichen Dialoges zwischen der spanischen Regierung und den katalanischen Institutionen und Parteien. Da jetzt keine Wahlen vor der Tür stehen, denkt anscheinend Herr Sánchez es nicht nötig zu haben auf die Stimmen der katalanischen Abgeordneten in Madrid Rücksicht zu nehmen, und den von ihm angebotenen „Dialogs Tisch“ endgültig zu ignorieren, nach dem bekannten Motto „was kümmert mich mein Geschwätz von gestern…“

Die Folgen auf den Konflikt werden spätestens im Herbst zu sehen sein, und werden höchstwahrscheinlich seine Verschärfung verursachen.

Zweiter Fall. Die von den spanischen Zentralregierung veröffentlichten Daten über die Corona Infektionen haben dazu geführt, dass in Europa eine Reisewarnung  besonders für die Regionen Navarra, Aragonien und Katalonien erfolgt ist, die eine Katastrophe bedeutet für alle, die dort hauptsächlich von dem Tourismus leben. Diese Maßnahmen  sollte man natürlich hundertprozentig akzeptieren, wenn alles mit rechten Dingen gehen würde. Aber, genau wie am Anfang der Pandemie schon geschehen besteht der Verdacht, dass wieder Madrid als gefährlicher Hotspot der Virus geschont werden soll.

Es gibt  nämlich einen Dissens zwischen den offiziellen Daten über Neuinfektionen und die Zahl der wegen Corona in Krankenhäuser eingelieferten Bürger. Zum Beispiel, nach den vom spanischen Gesundheitsministerium  am 21.07.20 veröffentlichen Zahlen, waren in den vorherigen 7 Tagen in ganz Spanien 268 Bürger wegen Corona in Krankenhausstationen aufgenommen worden. Davon waren 57 in Madrid und 17 in Katalonien. Geordnet nach Einlieferung per eine Million Bevölkerung, war Madrid an 4. Stelle und Katalonien an 15. In absoluten Zahlen war Madrid an zweiter Stelle und Katalonien an sechster. In einem Land mit zuverlässigen  und transparenten Informationen würden solche Widersprüche sicher zu klären sein. Aber der bisherige Verlauf im Umgang mit Informationen in Spanien lässt  Raum für die tollsten und negativsten Vermutungen. Mehr Einzelheiten kann man lesen in dieser beispielhafter Artikel von Ralf Streck:  https://www.heise.de/tp/features/Wie-das-Auswaertige-Amt-auf-spanische-Zahlen-hereinfaellt-4858441.html .

Beide Fälle sind, was man sehr vorsichtig mit „spanischen Eigentümlichkeiten“ umschreiben kann. Oder -wie so oft- mit dem alten Slogan „Spain is different“. Und das sollte Europa nie außer Acht lassen.

P.S. Nachdem dieser Artikel fertig war, ist bekannt geworden, dass ein mutiger Richter in Katalonien, der zuständig ist für Entscheidungen über die zwei weiblichen politischen Gefangenen (die damalige Parlamentspräsidentin Forcadell und die ehemalige Landesarbeitsministerin Bassa) sich geweigert hat, willkürlich die geltenden Gesetze zu brechen und hat für die beiden die Hafterleichterungen weiter bestehen lassen.

 

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